Mittwoch, 13. Juni 2012

the time has come


 Zusammengefaltet und abgemagert, innerhalb eines Tages.
Taumelnd und kotzend, innerhalb eines Tages.
Sie liegt neben mir, schwer atmend, keucht. 
Ich weine bitterlich. Verfluche innerlich jeden, der ihr irgendetwas angetan hat. Verfluche diesen verdammten Hund, der sie damals angegriffen hat, als sie mich verteidigt hat. Verfluche den Tierarzt, der ihr diese Tollwutspritze verabreicht hat, an der sie nun leidet, wenn es nicht wirklich nur das Alter ist.
Verfluche jedes Auto, was sie fast überfahren hätte und bin trotzdem glücklich, dass sie niemals eins erwischt hat. Denke daran, dass sie mich beschützt hat, ihren Arsch für mich hingehalten hat, als ich angegriffen wurde. Erinnere mich an den ersten Augenblick, als ich sie damals gesehen habe und sie mir in die Arme sprang, mich nicht mehr allein ließ, als ich durch das Gehege der Auffangstation ging.
Der Hund, der mich so fasziniert hat. Der Hund, den ich durch ein Wunder bekam. Ein Wunder. Ich erinnere mich an das erste Mal als sie weglief und ich weinend nach ihr suchte, weil ich Angst um sie hatte. Denke daran, dass ich jedes Mal schreckliche Angst hatte, dass ein Pferd sie tritt oder ein Trecker sie überfährt. Hasse mich dafür, dass ich nicht mehr Zeit mit ihr verbracht habe, weil ich am PC saß oder telefoniert habe. Hasse mich dafür, dass ich sie beleidigt habe, sie sei ein scheißvieh, weil sie mir nicht gehorchte. Lächle, weil sie immer da war und mich zum Lächeln gebracht hat, durch die Scheiße, die sie gebaut hat. Erinnere mich an den Vorfall im Harz, als sie zwei Hühnern die Federn aus dem Arsch rupfte. Lächle, weil sie mein Hund war, den ich geliebt habe wie kein anderes Wesen auf dieser Welt.
Sie atmet ruhiger. Keucht noch immer. Hebt ihren Kopf auf meinen Oberschenkel. Legt in auf ihn. Meine Hand fährt durch ihr weiches, goldbraunes Fell. Das Fell, welches die Farbe reifen Weizens oder reifer Gerste hat. Ich schaue sie an, Tränen laufen meine Wangen herunter und tropfen auf die weiße Stelle auf ihrem Kopf. Dorthin, wo damals das Wunder passierte. Mein Wunder.
Ihr Atmen wird ruhiger, ihr Brustkorb bebt. Sie zuckt. Sie zuckt nochmals.
Legt ihren Kopf auf den Boden. Liegt neben mir. Ich lege meinen Kopf auf sie, weine. 
Sie zuckt, streckt sich, erstarrt.
Ihr Herz schlägt noch immer, langsam, leise. Ich spüre es, meine Hand lässt sie nicht los.
Sie zuckt nochmals, ihr Maul öffnet sich, sie atmet das letzte Mal ein, lässt ihren Kopf zu Boden sinken und ihr Herz verstummt.

13.6.2012 - 22:49 

R.I.P. Kessi, danke, für diese wundervollen 10 Jahre.


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